Der Kickerautomat hat viele Freunde

Der Kickerautomat hat viele Freunde

Im Brettener Jugendhaus der AWO ist der Normalbetrieb wieder angelaufen

 

Bretten. Vorlesestunde im Jugendtreff: Neun Teenager haben es sich in den ausrangierten roten Plüschsesseln
des Brettener Kinos gemütlich gemacht, die jetzt im Offenen Treff im Brettener Jugendhaus eine letzte
Verwendung finden. Im Halbrund sitzen die Zuhörer um den Vorleser und lauschen aufmerksam der Geschichte eines jungen Beutelwolfs, der sich mit seinen Freunden ins Abenteuer Leben stürzt. Die 13- und 14-Jährigen sind voll dabei, der Vorleser und Erzähler Hartmut Baumgärtner zieht sie in seinen Bann.
Die Geschichte hat der mittlerweile 60-jährige Leiter der Einrichtung selbst geschrieben. Sie dreht sich um das
Wappentier des Jugendhauses, dessen Konterfei auf dem großen Wandgemälde hinter dem Vorleser prangt.

Seit wenigen Wochen ist das Brettener Jugendhaus wieder für Besucher geöffnet, ebenso wie die anderen
Jugendhäuser, die die AWO in Gondelsheim, Oberderdingen, Kraichtal und Weingarten betreibt. Die
Maskenpflicht und die Abstandsregeln gelten zwar weiter, doch man merkt den jungen Leuten an, dass sie froh sind, sich wieder mit anderen treffen zu können. Die Langeweile war es, die ihnen am meisten zu schaffen
machte, berichten sie. „Ich habe das vermisst, hier Freunde zu treffen, zu spielen und zu chillen“, sagt Diyar,
der mit seinen Kumpels Kevin und Arda gerade den Hauptschulabschluss geschafft hat. Computer zum
Lernen zuhause haben sie alle, nur einer muss den Rechner mit seiner Schwester teilen.

Sebastian (14) und Kemal (13) haben sich in der Pandemie sogar in der Schule verbessert. „Zocken war langweilig und
raus konnte man auch nicht, da habe ich mehr gelernt“, berichtet der eine. Am meisten vermisst hat er den Kicker
und das Tischtennisspielen, das jetzt wieder möglich ist.

Auch für Dimitrios (25) war es im Lockdown schwer, sich mit Freunden zu treffen. So hat er viel Zeit mit der Familie
verbracht. Die ganze Gruppe gehört zu den Stammgästen des Jugendhauses. Seit vielen Jahren schon kommen sie
regelmäßig in diesen Treff.

Öffnungszeiten sind jetzt wieder von Montag bis Freitag, für die Jüngeren von 14 bis 16 Uhr, für die Älteren von 16
bis 18 Uhr. Maximal zehn Personen sind zugelassen. „Alle sind froh, dass sie wieder hier sein können, alle halten sich
an die Spielregeln“, bekundet Baumgärtner, der die Einrichtung seit 30 Jahren leitet. Für viele sei die Zeit der
Pandemie sehr belastend gewesen, eine Zäsur, wie es sie vorher nicht gab. Das habe manche nachdenklich
gemacht. Wo stehe ich? Wie gehe ich mit dieser Krise um? Wie geht es weiter – in der Schule und ganz persönlich?

Solche Fragen trieben die Jugendlichen um. Aber auch die Freude über die neu gewonnene Freiheit und die Rückkehr
zu einem vertrauteren Alltag ist laut Baumgärtner spürbar. Und eine Wertschätzung dem Leben gegenüber.
Der Jugendreff ist gut ausgestattet mit Kicker, Dartscheibe, Billardtisch. Eine kleine Bühne steht für
Musiker zur Verfügung, wuchtige Boxen, ein Beamer an der Decke und eine eingerollte Leinwand an der
Fensterfront lassen erahnen, was hier sonst noch abgeht.

Hinter der Theke steht ein gut bestückter Kühlschrank. Ein Tischtennisraum im Dachgeschoss und ein
Konferenzraum im Erdgeschoss runden das Raumangebot im Jugendhaus ab, das der Stadt gehört.

Baumgärtner war auch im Lockdown im Haus, hat Einzelgespräche geführt und Bewerbungen für
Jugendliche geschrieben, die einen Ausbildungsplatz suchen. Dem Erziehungswissenschaftler, der auch Kinderund
Jugendpsychiatrie studiert, ist das Gespräch mit den jungen Leuten wichtig: „Jugendarbeit ist
Beziehungsarbeit.“ Die Geschichten, die er schreibt und vorliest, sollen Kontakt zu den Zuhörern herstellen und
eine Einladung zum Gespräch auch über die eigene Lebenssituation sein.

„Wichtig ist, dass man nah dran ist an den Kindern und Jugendlichen“, sagt Baumgärtner, der sich als
Vertrauensperson in einem sensiblen Umfeld sieht. Und auch offen ist für die Fragen und Sorgen der Eltern, die
immer wieder anklopfen, wenn die schulischen Leistungen der Kids nachlassen oder sie die vermeintlich
falschen Freunde haben.

Den Kollegen in den anderen AWO-Jugendhäusern ginge es nicht anders. Auch sie seien alle wieder dabei, die
Angebote hochzufahren. Vor allem der Sport steht hoch im Kurs, neben dem Tischtennis ist es der Kicker, der viele
Freunde hat. Und schon für etliche Pokale gesorgt hat, die auf einem Regal hinter der Theke in Reih und Glied
stehen.

Unterstützt wird Baumgärtner derzeit von Natalie Kern, einer Auszubildenden im Anerkennungsjahr, sowie von
der Praktikantin Darleen Lehmann, die an der PH Karlsruhe Kindheitspädagogik studiert. Auch sie ist

überrascht vom Gesprächsbedarf der Besucher, die aber auch gerne zu den Karten- oder Videospielen greifen.
Neulich habe sie sogar zur Gitarre gegriffen und eine Jam- Session veranstaltet. Und die Kids hätten fleißig
mitgetrommelt und mitgesungen. Doch nicht nur die jungen Besucher sind froh, dass das Haus wieder offen ist.
„Ich habe die Kids auch vermisst“, sagt der Hausherr.

 

 

 

 

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